Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen (Jeremia 29,7)

Sonntagsimpuls 26.04.2020 Markus Bauder

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Textlesung: Jeremia 29,1-14

Liedvorschlag: GB 367,1-6 (Wer nur den lieben Gott lässt walten)

Impuls

Jemand hat die Erfahrung der vergangenen Wochen so beschrieben:

„Wir sind seit Wochen in die Veränderung geworfen. Die Krise krempelt weite Teile unseres gesellschaftlichen Lebens um. Sie zeigt uns schon heute, dass die gestrige „Normalität“ lange, vielleicht sogar nie mehr, zurückkehren wird.“

Ich stimme ihm zu. Ich denke, wir müssen uns auf eine neue Wirklichkeit einstellen. Vielleicht nicht überall und überall gleich. Aber spür- und sichtbar. Viele von uns haben auch schon längst begonnen, sich auf die neue Realität einzustellen.

Was viele schon tun, ab morgen machen es alle: beim Einkaufen oder in Bus und Bahnen eine Mund-Nasenmaske tragen. Schon länger halten wir Abstand voneinander. Wir schauen beim Bezahlen im Laden auf den Boden. Wo sind die Markierungen? Dass etwas stattfindet ist eher außergewöhnlich. Wir trauen uns nicht mehr in größere Menschenansammlungen. Wir treffen Freunde und Familie an Telefon und Bildschirm. Und im Fernsehen sieht man in Liveschaltungen immer nur Einzelpersonen.

Wie im falschen Film… oder einer anderen Welt.

Nicht nur einmal ist mir in den letzten Wochen das babylonische Exil eingefallen. Ihr erinnert Euch vielleicht: im Alten Testament wird von dieser großen Katastrophe berichtet: der Krieg war verloren, Jerusalem und der Tempel zerstört und große Teile des Volkes nach Babylon zwangsdeportiert.

Und dann saßen sie als Fremde im fremden Land. Auch wie im falschen Film…

Vom Propheten Jeremia ist ein Brief überliefert, den er an die Menschen im fremden Land geschrieben hat. Einige Sätze daraus sind berühmt geworden: „Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn.“ Oder: „Baut Häuser und wohnt darin, pflanzt Gärten und esst ihre Früchte, heiratet, habt Kinder.“ Oder „Es wird dauern. Aber ihr werdet mich suchen und finden; Ich habe Gedanken des Friedens und nicht des Leides.“

Bisher habe ich diese Texte immer gelesen während ich mich selbst wohl gefühlt habe und es mir gut ging. In diesen Tagen ist das anders. Ich bin vermutlich den ursprünglichen Adressaten gefühlsmäßig näher gekommen: ich komme mir selbst vor wie im falschen Film. Wie an einem Ort, den ich mir nicht ausgesucht habe. Den ich eigentlich auch nicht will. Gegen den ich mich wehre. Ich will das Alte zurück und fürchtezunehmend: das gibt es nicht mehr. Alles wird anders und wird vielleicht auch länger anders bleiben: dass man Menschen in Heimen oder im Krankenhaus nicht einfach besuchen kann. Dass man nicht davon ausgehen kann, dass Termine, Feste und Feiern mit anderen Menschen auch stattfinden können. Dass sich unser Einkaufverhalten verändern wird. Dass bei großen Zusammenkünften andere Regeln gelten als noch vor ein paar Wochen.

Oder noch schwieriger: Manche müssen auch um ihre Arbeit oder gar ihre wirtschaftliche Existenz kämpfen. Weil es Berufe oder Arbeitsstellen gar nicht mehr gibt, die bis vor Kurzem noch selbstverständlich waren.

Eine Krise. Für manche eine echte Katastrophe.

Der Prophet Jeremia hat für mich Gedanken ins Spiel gebracht, die helfen können:

Er sagt: Ja, es ist eine Krise. Und sie dauert lange. Stell dich darauf ein. Sie wird länger dauern als ihr denkt und unter Umständen länger als ihr lebt. Sie gehört jetzt zu Eurem Leben. Sie ist die neue Wirklichkeit. 

Wir tun gut daran, schnell zu lernen, dass diese Krise zu unserem Leben gehört. Es wird dauern. Und wir sollten Wege finden, damit gut umzugehen. Wie feiern wir Gottesdienst, wenn wir Abstand halten sollen und hinterher nicht unbeschwert Kaffee trinken können? Singen mit Mundschutz? Oder besser gar nicht singen? Sich herzlich begrüßen ohne sich anzufassen. Wie geht das? Ältere Leute als besonders schutzbedürftig sehen und sie trotzdem nicht isolieren. Wege der Unterstützung aufbauen und Kontakte. Neue Wege.

Wir werden auf längere Zeit neue Verhaltensweisen einüben müssen und uns daran gewöhnen. Oder zumindest damit leben müssen.

Möglicherweise wächst sogar eine Generation heran, die das alles gar nicht anders kennt. Gesundheitschecks an jedem Flughafen. Regelmäßige Routinekontrollen. 14 Tage Quarantäne – das passiert jedem immer mal wieder. Planung unter Vorbehalt: wenn es die Situation zulässt. Früher schrieb man unter Briefe: „So Gott will und wir leben…“

2. Jeremia schreibt weiter: Bring diese Krise und alles, was damit zusammenhängt vor Gott. Selbst wenn du Gott für diese Krise verantwortlich machst.

Das finde ich ja schon einen sehr steilen Gedanken: „… dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie“. Gott schickt die Israeliten in die Katastrophe und sie sollen ausgerechnet zu Gott beten für die Feinde… 

Wenn ich das ein bisschen anders formuliere, wird ein Gedanke daraus, der mir helfen kann: ich möchte letztlich alles, was mir geschieht, aus Gottes Hand nehmen. Weil ich weiß, dass es für mich dann tragbarer ist. Leichter. Völlig unabhängig davon, wer jetzt an dieser Situation „schuld“ ist. Ich nehme es aus Gottes Hand. Du, Gott, mutest mir das zu. Du gehst mit mir auch durch diese Situation und ich befehle alles, was diese Situation ausmacht, deiner Weisheit, Barmherzigkeit und Gnade an. Du weißt, wo ich oder andere Hilfe brauchen. Zeige Du mir, wie ich mich gerade heute und jetzt verhalten soll. Was ich tun soll. Für wen ich Dein Bote, deine Botin werden kann. Wer braucht deine, wer braucht meine Hilfe? Schenke mir Mut und inneren Frieden, Vertrauen in Dich und Dein Begleiten.

Hilf mir und anderen vor allem dort, wo es gerade wirklich schwer ist und kaum auszuhalten…

Und dann endet der Brief mit einem sehr tröstlichen Gedanken: die Katastrophe dauert nicht ewig. Sie endet. Wobei man offen lassen kann, wie nun dieses Ende tatsächlich aussieht. 

Zurück nach Früher oder in das alte Leben war es in keinem Fall: als das Exil der Isareliten endet, waren drei Generationen vorbei. In Babylon existierte ein blühendes jüdisches Leben. Die Religion hatte neue Wege gefunden, ihren Glauben zu leben: der Synagogengottesdienst war entstanden. Weite Teile des Alten Testaments sind in dieser Exilszeit aufgeschrieben und gesammelt worden. Gottesdienst bedeutete nun, in einer Synagoge zu beten und die Schrift zu lesen. Vorher ging man in den Tempel und brachte Tieropfer dar.

Darüber hinaus waren nun viele Israeliten fest ins persische Reich und Leben integriert. Als sie am Ende der Krisenzeit zurückkehren durften, haben sich längst nicht alle auf den Weg gemacht. Aber auch das war eigentlich kein Weg zurück. Das Früher gab es nicht mehr.

Mich lehrt dies, dass das Ende einer Krise vor allem eine Einstellungsfrage ist. Wann endet eine Krise für mich. Wann nehme ich die Herausforderung an und gestalte in den veränderten Umständen mein und unser Leben.

Natürlich warten wir darauf, dass sich die gesetzlichen Bestimmungen wieder ändern. Natürlich hoffen wir auf ein Medikament und einen Impfstoff. Aber ist das dann das Ende der Krise?

Nein, eine Krise endet, wenn ich ein neues Ja zum Leben gefunden habe. Wenn ich meine Situation annehme wie sie ist und nach vorne schaue.

Oder, auch ein interessanter Gedanke: die Krise endet, wenn ich danke sagen kann. Wenn ich etwas wirklich auch Gottes Hand nehme und mit ihm in die neue Zeit gehe.

Und in diesem Sinn wünsche ich uns allen, dass wir lernen, mit den neuen Lebensumständen klar zu kommen. Sie aus Gottes Hand zu nehmen und mit ihm in die Zukunft zu gehen.

Ich wünsche Euch allen einen gesegneten Sonntag. Amen

Gebet:

Du Gott des Friedens,

Wir sehnen uns danach, den neuen Weg zu kennen.

Du weißt ihn. Zeig uns den Weg. Zeig ihn denen, die uns regieren, die über uns bestimmen, die unser Wohl wollen.

Du Gott des Friedens, Du suchst uns. Bringe uns auf den richtigen Weg. Erbarme dich.

Du Gott des Friedens, Wir sind gefangen in unserer Sorge.

Du siehst die Ängste der Welt. Schau auf die Menschen, die keinen Ausweg sehen – auf der Flucht, in Lagern, im Krieg.

Schau auf die Menschen, die kein Zuhause haben, wo sie Schutz finden.

Und schau auf die, für die der Schutzraum zur Gefahr wird.

Du Gott des Friedens, Steh ihnen bei und trage sie auf deinen Schultern. Erbarme dich.

Du Gott des Friedens, wir bitten Dich um eine neue Sichtweise. Schenke uns Hoffnung. Schenke uns Glauben. Dir vertrauen wir uns an in diesen Tagen.

Höre uns, wenn wir miteinander beten: Vater unser im Himmel …

Hier kann das Lied „Wer nur den lieben Gott lässt walten…“ (GB 367,1-4.6) singen oder lesen

Musik: Wer nur den lieben Gott lässt walten (Ulrike Bauder-Reissing, Klavier)

Segenswort:

Der Herr segne dich und behüte dich.

Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig.

Der Herr erhebe sein Angesicht über dich und schenke dir seinen Frieden.

Amen