Predigt vom 6.03.2016 – Markus 15,1-15 (Jesus Barrabas, Pontius Pilatus)

Ich möchte euch heute zwei Männer etwas genauer vorstellen. Zwei Männer, die in der Passionsgeschichte eine Rolle spielen. Zwei Männer, die durchaus unterschiedlich sind. Und – was mich ein bisschen verblüfft hat, die in der Kirche und unter uns Christen unterschiedlich bewertet werden. Vor allem der Eine – Pontius Pilatus. Über den anderen, Jesus Barrabas, wissen wir nicht so viel, aber er steht für etwas, was es damals durchaus häufiger gab und das uns auch etwas über uns als Menschen sagen kann.

Blicken wir auf Pontius Pilatus. Diejenigen von Euch, die gerade das Buch „24Stunden – der Tag, der die Welt veränderte“ lesen, haben da schon ein bisschen was mitgekriegt.

Pilatus war der römische Gouverneur der Provinz Judäa. Er wurde vom Kaiser Tiberius eingesetzt und verwaltete die Provinz 10 Jahre lang vom Jahr 26 bis 36 nach Christus. Dass er 10 Jahre die unruhigste Provinz Roms einigermaßen friedlich halten konnte, gilt als Indiz dafür, dass Pilatus klug und durchsetzungsstark war. Er war auch als kalt und grausam bekannt. Angeblich wurde er gegen Ende seiner Herrschaft abgesetzt und nach Rom zum Rapport beordert. Ihm wurden verschiedene Vergehen wie Bestechung, Beleidigung, Raub, Gewalttätigkeit und Anderes vorgeworfen.

Die Römer legten großen Wert auf ihr Rechtssystem. Hohe Verwaltungsbeamte konnten durchaus nicht alles machen, was sie wollten. Allerdings weiß man bei Pilatus nicht genau, ob die Vorwürfe tatsächlich zutrafen oder ihm nur vorgeworfen wurden, weil ihn jemand loswerden wollte.

Man weiß auch nicht, ob Pilatus jemals zur Rechenschaft gezogen wurde. Kaiser Tiberius starb bevor Pilatus in Rom ankam und seine Spur verliert sich. Manche sagen, er hätte Selbstmord begangen. Wieder andere vermuten sein Grab in Frankreich. Aber es gibt auch noch andere Legenden.

Auffällig in den Evangelien ist, dass Pilatus Jesus eigentlich nicht verurteilen will. Er will Jesus frei lassen. Pilatus sieht in Jesus keine Schuld, die den Tod verdient hätte. Er hat vor Jesus und seinem Reich, selbst wenn er ihn als König der Juden bezeichnet, keine Angst. Jesus wird ihm nicht gefährlich. Ziemlich deutlich wird, dass Pilatus davon ausgeht, dass der Hohe Rat Jesus tot sehen will und sie dazu Pilatus brauchen. Wenn man die Texte liest, versucht er sogar ziemlich viel, um Jesus den Tod zu ersparen. Zuerst versucht er den Hohen Rat zu überzeugen. Dann schickt er ihn, als er hört, Jesus sei aus Galiläa, zu Herodes Antipas, dem Verantwortlichen für Galiläa. Wieder versucht er den Hohen Rat umzustimmen. Dann versucht er, Jesus über den Gnadenakt den Tod zu ersparen. Sogar seine Frau Claudia lässt ihm noch mitteilen, er möge Jesus frei lassen. Sie habe einen bösen Traum gehabt. Allein, es gelingt ihm nicht, die Verantwortung los zu werden und den Hohen Rat umzustimmen. Und dann fällt er, man könnte durchaus sagen, in die Enge getrieben, das entscheidende Urteil.

Als ich die Texte letzte Woche noch einmal gelesen habe, konnte ich mir gut vorstellen, wie er zu Jesus am Ende sagt: Tut mir leid, ich habs versucht. Aber jetzt kann ich nicht anders.

Ich habe vorhin gesagt, dass Pilatus hart, klug und durchsetzungsstark war. Dazu gehört bei ihm auch, so verstehe ich das, ein politischer Opportunismus. D.h. er weiß genau, was er tun muss, um die Bevölkerung ruhig zu halten. Er weiß, was er tun muss, um mit der jüdischen Obrigkeit einigermaßen klar zu kommen. Er weiß, dass er den Hohen Rat braucht. Er weiß, was er tun muss, um seine Position, seine Macht zu halten und zu verteidigen. Und er ist skrupellos genug, dann zu tun, was nötig ist. Auch, wenn es Menschenleben kostet.

Man könnte auch sagen, er hat seinen Machiavelli gelesen. Auch wenn Machiavelli erst im 15. Jahrhundert gelebt hat. Es bedeutet, dass Pilatus genau wusste, wie Machtpolitik funktioniert. Aber damit unterscheidet er sich in nichts von anderen, auch heutigen Machtpolitikern.

Ehrlich gesagt, habe ich für solche Leute durchaus Verständnis. Denn zu einem König oder Kanzler oder Präsidenten gehört eben nicht nur eine hohe moralische Integrität. Gehört nicht nur Klugheit. Sondern es gehört auch die Bereitschaft dazu, sich durchzusetzen…

Menschen, die diesem Pilatus nicht wohlgesonnen sind, würden ihn für einen windigen Weichling halten, der nicht genügend Rückgrat hat, sich dem Hohen Rat entgegenzustellen. Dass er sein Fähnchen nach dem Wind hängt und ihm seine Macht wichtiger ist als Menschenleben.

So kann man es auch beschreiben oder bewerten. Klar ist, dass er in den Augen der damaligen Berichterstatter ein relativ normaler, starker Gouverneur war. Er hat die Interessen Roms vertreten und durchgesetzt.

Allerdings waren die Christen von Anfang an sehr zwigespalten, wie sie das Handeln des Pilatus deuten sollen. Wenn es der Plan Gottes war, dass Jesus sterben musste, dann war Pilatus das Werkzeug Gottes. Deshalb wurde er in manchen Kirchen der damaligen Zeit als Heiliger verehrt. Er hat getan, was er nach Gottes Plan tun musste.

Andere verurteilten ihn als den Gottesmörder.

Genauso übrigens auch seine Frau Claudia. Sie ließ ja ihrem Mann ausrichten, er solle die Finger von diesem Mann lassen. Weil sie versuchte, Jesus vor dem Tod zu bewahren, wurde sie bald darauf in manchen Kirchen als Heilige verehrt. In der orthodoxen Kirche übrigens bis heute.

Andere sehen in ihrem Versuch, Jesu den Tod zu ersparen eine Versuchung des Teufels. Sie wollte Jesus von dem Weg, den Gott vorgesehen hat, abbringen. Diese anderen haben sie dann ebenso verurteilt wie verteufelt.

Jesus selbst hat das Handeln des Pilatus nicht bewertet oder verurteilt. An manchen Stellen hatte ich beim Lesen das Gefühl, er hat vielleicht sogar Mitleid mit ihm. So als ob Jesus klar ist, dass Pilatus aus dieser Zwickmühle nicht herauskommt. Und am Ende tut Pilatus was er tun musste.

Jesus stirbt auch für ihn am Kreuz. Den römischen Gouverneur, der versuchte, seine Hände in Unschuld zu waschen. Dem das aber nicht wirklich gelungen ist. Bis heute nicht. Keiner von uns kann seine Hände in Unschuld waschen.

Jesus Barrabas war derjenige, den Pilatus anstelle Jesu frei ließ. Er war damit der erste, der durch den Tod Jesu begnadigt wurde. Jesus Christus starb für Jesus Barrabas.

Bei Hamilton können wir lesen, dass Barrabas vermutlich eine Art jüdischer Aufrührer war. Einer, der das getan hat, was viele sich von Jesus Christus erhofft hatten. Dass er nämlich die Römer angriff und versuchte, sie mit Gewalt aus dem Land zu jagen. Er war einer von der Art Messias, wie ihn sich die Leute erhofft hatten. Einer, der sich nicht mit Worten zufriedengab. Einer, der durchgriff. Einer, der auch bereit war, sein Leben und das Leben anderer für die Freiheit zu opfern. Man spricht davon, dass es zwischen der Geburt Jesu und der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 bis zu 13 solcher Messiasse gab, die sich teilweise auch selbst so bezeichnet haben. Sie versuchten das Volk Gottes mit Gewalt zu befreien und es gab viele, die ihnen nachgelaufen sind. Manchen nur wenige Dutzend, einer brachte es sogar auf bis zu 6.000. Alle wurden sie zum Tod verurteilt und hingerichtet.

Jesus ist ein völlig anderer Messias. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ sagt er im Johannesevangelium zu Pilatus. Aber wer will das denn schon hören? Die Menschen wollen Barrabas. Sie wollen einen, der auch mal durchgreift. Der vom Reden zum Handeln kommt. Der keine Angst vor den Konsequenzen hat. Und manchmal braucht es eben auch „laute“ Argumente.

So nachvollziehbar und gut manche Wünsche und Ideen unter uns Menschen auch sein mögen. Wer dabei auf Gewalt setzt, setzt auf Barrabas. Und nicht auf Jesus Christus. Diejenigen, die Flüchtlingsheime anzünden, setzen auf Barrabas. Diejenigen, die einfach die Grenzen zumachen, setzen auf Barrabas. Diejenigen, die sagen – es braucht einen, der durchgreift. Mit Macht, setzen auf Barrabas.

Pilatus lässt dem Volk die Wahl. Wir haben immer wieder die Wahl. Setzen wir auf Barrabas? Oder auf Jesus Christus? Setzen wir auf militärische Stärke, auf Macht und Durchsetzungsfähigkeit auch um manchen Kollateralschäden willen. „Wo gehobelt wird, da fallen Späne“, man kann nicht nach jedem gucken und ich muss ja zuerst einmal nach mir selbst sehen.

Völlig verständlich. Aber ist das auch der Weg Gottes?

Da sehen wir sie vor uns. Pilatus und Barrabas. Beide sind sie Kinder ihrer Zeit. Eingebunden in die Machtverhältnisse ihres Landes. Beide sind sie bereit, für ihr Leben und ihre Idee vom Leben ihre Energie einzusetzen. Ja sogar Leben zu opfern. Pilatus steht für Rom und ist hart und entschieden genug, den Weg zu gehen, der Rom und ihm selbst seine Macht und seine Position sichert.

Barrabas steht für Israel und den Wunsch nach Freiheit. Auch er ist bereit, für seine Idee vom Leben zu kämpfen, ja sogar Menschenleben aufs Spiel zu setzen. Er weiß zwar, dass dieser Kampf auch seinen Kopf kosten kann, aber der Preis scheint ihm nicht zu hoch.

Der Weg Jesu war ein anderer. Zwar kämpft auch Jesus. Aber mit sich selbst. Auch er ringt um sein Ziel. Auch er will sein Ziel erreichen. Aber sein Ziel unterscheidet sich doch ganz grundsätzlich von den Zielen des Pilatus oder Barrabas. Sein Ziel war, uns Menschen zu zeigen, wie Gott ist. Und dass Gott jeden Menschen liebt. Und bereit ist, für das Heil jedes einzelnen Menschen alles zu tun. Man könnte auch sagen für das Paradies oder den Himmel eines jeden Menschen alles zu tun. Und deshalb ist sein Weg, dieses Ziel zu erreichen der Weg konsequenter Gewaltlosigkeit. Er setzt auf den Weg des Dienens und des Opfers. Er setzt auf Vergebung und Liebe. Er setzt auf Demut und Barmherzigkeit. Und das im Namen Gottes.

Etwas Unglaubliches! Im Namen Gottes! Im Namen eines Gottes, der sein Ziel nicht mit Gewalt erreichen will. Der seine Stärke nicht dadurch zeigt, dass er den Willen und die Zustimmung der Menschen erzwingt. Sondern indem er konsequent, aber ohne Gewalt und Hass seinen Weg bis zum Ende geht.

Um zu zeigen, dass er diesen Weg auch bis zum Ende geht, ging Jesus in den Tod. Ja, man könnte auch sagen, er musste ihn bis zum Tod gehen. Denn nur so kann man die Geradlinigkeit dieses Weges erkennen. Nur so kann man sehen, dass Jesus bereit war, den Preis zu bezahlen.

Warum musste Jesus sterben? Weil Gottes Wunsch, alle Menschen im Himmel oder im Paradies zu sehen, nur so erreicht werden kann.

Wir Menschen setzen fast immer lieber auf Barrabas oder Pilatus. Und deshalb konnte uns Gott nur an sich selbst zeigen, wie der Weg ins Paradies geht. Weil man an den Ort des Friedens nicht mit Gewalt hinkommen kann. Wenn wir von Gott, vom Himmel oder vom Glück des Menschen reden und damit einen Ort meinen, an dem Frieden und Glück sind, dann kann der Weg dorthin nicht mit Leichen gepflastert sein.

Ich verstehe bis heute nicht, wie auf dieser Erde auch nur ein Mensch auf die Idee kommen kann, dass man sich den Weg ins Paradies erkämpfen kann. Mit Gewalt erzwingen kann. Kann man nicht. Weil der Ort des Friedens keinen Platz lässt für Gewalt. Und auch der Weg dorthin niemals ein Weg der Gewalt sein kann…

Pilatus und Barrabas, das Volk – man könnte auch sagen wir, haben nur eine Chance auf den Himmel, wenn Jesus für Barrabas und Pilatus und für uns, seinen Weg weitergeht und den Tod auf sich nimmt. Jesus stirbt für Pilatus und Barrabas. Und gibt ihnen so eine Chance, ihre Schuld loszuwerden.

So verständlich es ist, dass wir in unserem Leben oft auf Barrabas und Pilatus setzen, so notwendig ist es auch, uns von diesen Zwangsläufigkeiten zu erlösen.

Ja, man kann sogar sagen: so sinnvoll und gut es manchmal scheint, auf Barrabas und Pilatus zu setzen, es geht nie ohne Schuld. Selbst wenn es dafür keine Strafe gibt und staatliche Gewalt in unseren Augen notwendig ist. Wenn Menschen gezwungen werden, wenn auf Stärke und Macht gesetzt wird – entsteht immer auch Schuld. Niemand kann seine Hände in Unschuld waschen.

Deshalb brauchen wir Jesus Christus. Deshalb brauchen wir Gott. Und seinen Weg der Vergebung und Gnade. Wirf dich auf diesen Jesus und du wirst durch seinen Tod erlöst. Häng dich an ihn und du wirst, wie es im Bild der Taufe deutlich wird, durch seinen Tod mit in seine Auferstehung hineingenommen. Völlig ohne Gewalt wird dein Leben erlöst. Völlig ohne Zwang und Macht löst sich Schuld auf. Und du kannst ankommen im Reich des Friedens.

Hoffentlich motiviert dich dies, schon hier und jetzt, da und dort nicht mehr nur auf Barrabas und Pilatus zu setzen. Sondern auf Jesus. Schon hier und jetzt nicht den Weg der Gewalt und Stärke zu wählen, sondern den Weg der Gnade und Barmherzigkeit. Schon jetzt auf Vergebung zu setzen, statt auf Härte.

Jesus antwortet Pilatus auf die Frage, ob er eine König sei, mit den Worten: „Ja, ich bin ein König. Ich wurde geboren und bin in die Welt gekommen, um die Wahrheit offenbar zu machen und als Zeuge für sie einzutreten. Wem es um Wahrheit geht, der hört auf mich“. Darauf sollten wir setzen. Amen.

Copyright Pastor Markus Bauder, März 2016